Selbstbestimmtes Leben unter Personalmangel

Eine Geschichte eines betroffenen Rollstuhlfahrers

Ich erzähle die Geschichte eines Menschen, der aufgrund seiner komplexen Behinderung, einen hohen Assistenzbedarf hat. Um seine Privatsphäre zu schützen, nenne ich ihn Tom. Trotz seiner Behinderung ist er eine lebensfrohe Persönlichkeit und ist oft zu Späßen aufgelegt. Spätestens seit Beginn der Pandemie hat sich Tom’s Situation sehr verschlechtert. Wobei der Ursprung als solcher bereits im Jahr 2019 einzuordnen ist. Sein Leistungserbringer für Assistenzleistungen ist in dem genannten Jahr in der Folge von Fehlentscheidungen der Geschäftsleitung knapp einer Insolvenz davongekommen. Die Verwaltungsstruktur, welche vorher schon ihre Schwächen hatte, ist seit dieser Zeit noch chaotischer geworden. Dies führte zur Kündigungswelle seitens der Assistenten.

Tom lebt im Haus seiner Eltern in Bielefeld. Er hat seit seiner Geburt eine stark ausgeprägte Spastik. Durch sie ist er daher nicht nur in seiner Bewegung, sondern auch Sprache massiv eingeschränkt. Für die Mobilität nutzt er einen für ihn speziell angepassten E-Rollstuhl, welcher über viele Einstellungen verfügt und mit einer Kinn-Steuerung bewegt wird. Auch wenn er sich immer wieder bemüht, ist er in der verbalen Kommunikation sehr schwer zu verstehen. Daher nutzt er dafür einen speziellen Sprach-Computer, welcher ihn bei der Kommunikation mit anderen Menschen unterstützt. Viele Jahre lang wurde er von engagierten Assistenten(innen) unterstützt.

In der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen hat er seine jetzige Lebenspartnerin kennengelernt. Nennen wir sie Lisa. Sie selbst lebt mit einer kognitiven und physischen Einschränkung und hat daher auch einen hohen Hilfebedarf. Leider wird ihre Hilfsbereitschaft seitens des Leistungserbringers immer wieder ausgenutzt, um die nicht geleistete Assistenz zu kompensieren.

Er ist, wie viele Bielefelder auch, ein Fan des heimischen Fußballvereines. Damit er trotz fehlender Assistenz bei Turnieren im Bielefelder Stadion dabei sein kann, begleiten ihn Freunde oder dessen Familienangehörige zum Stadion oder in die Neue Schmiede. Dort werden die Spiele gezeigt, wenn sie nicht in Bielefeld stattfinden. Besonders am Wochenende wird er und seine Partnerin des Assistenzdienstleisters alleine gelassen. Dieser verweist auf den Mangel an Personal. Verschweigt aber, dass ein nicht unerheblicher Anteil auf dessen Versäumnissen und Fehlentscheidungen herzuleiten ist. Dazu kommt, dass der für ihn gestellte gesetzliche Betreuer bis heute scheinbar nicht in der Lage oder willens ist, an dieser untragbaren Situation etwas zu ändern. Tom selbst hat weder die Kraft noch das Selbstvertrauen sich in irgendeiner Form gegen diese Zustände zu wehren. Genau darauf scheint sich der Leistungserbringer auszuruhen. Tom muss auf Menschen hoffen, welche ihn aus seiner misslichen Lage helfen, damit er wieder mehr selbstbestimmt mit seiner Partnerin leben kann.

Als Schlussfolgerung kann und muss man sagen, dass es bei der Assistenz wie auch in der Pflege nicht nur alleine auf die Bezahlung, sondern auch auf eine gute Führung des Personals und Verlässlichkeit der Planung ankommt. Nur so können beide selbstbestimmt ihr gemeinsames Leben gestalten.

Ein Artikel von Perry Walczok

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